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Für eine andere Gerechtigkeit

Dimensionen feministischer Rechtskritik

Erschienen am 06.12.2018, 1. Auflage 2018
34,95 €
(inkl. MwSt.)

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593508368
Sprache: Deutsch
Umfang: 405 S.
Format (T/L/B): 2.4 x 21.5 x 14.2 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Jetzt erst recht! Im Recht spiegeln sich die gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Doch mit ihm lässt sich auch die Gesellschaft verändern. Was bedeutet das für die Geschlechtergerechtigkeit und die Frauenrechte? Die Frauenbewegungen sind schon immer Motoren gesellschaftlichen Wandels gewesen: Sie haben politische Widersprüche und soziale Ungerechtigkeit benannt und Gerechtigkeit eingeklagt. Dieses Buch setzt sich mit den Möglichkeiten und Grenzen des Rechts als Mittel politischer Einmischung auseinander, die Geschlechtergerechtigkeit als konkrete Utopie nicht aus den Augen verliert. Den Rechtsgrundsatz der Gleichheit versteht Ute Gerhard dabei nicht als absolutes Prinzip, sondern als dynamisches Konzept. Rechte müssen im jeweiligen Kontext erkämpft, verteidigt und neu verhandelt werden. Sie schildert die Geschichte der Frauenrechte in Europa seit dem 19. Jahrhundert bis heute und zeigt verschiedene Dimensionen feministischer Rechtskritik auf. Die Lebensrealität von Frauen und Männern behält sie dabei fest im Blick.

Autorenportrait

Ute Gerhard hat Rechtswissenschaften, Soziologie und Geschichte studiert. Sie ist emeritierte Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Frauenund Geschlechterforschung an der Universität Frankfurt am Main. Dort war sie Gründungsdirektorin des Cornelia Goethe Centrums für Frauenstudien und die Erforschung der Geschlechterverhältnisse.

Leseprobe

Einleitung Rechte sind immer wieder neu zu verhandeln, zu verteidigen und zu erwerben. Sie können daher nicht verstanden werden als Haben oder Besitz, vielmehr sind sie Ausdruck von institutionalisierten Regeln für soziale Beziehungen und für die Verbundenheit mit anderen Menschen. Das gilt erst recht für die Rechte von Frauen, zumal im aufgeklärten, neuzeitlichen Rechtsverständnis nicht eine "austeilende oder vergeltende Gerechtigkeit von oben", sondern "eine aktive von unten" denkbar wird, also ein von den Menschen, mit Rücksicht auf die gleiche Freiheit der jeweils anderen vereinbartes Recht möglich ist. Doch obwohl Frauen als die eine Hälfte des Menschengeschlechts grundsätzlich an allen Revolutionen, Protest- und Reformbewegungen beteiligt waren, mussten sie im Nachhinein immer wieder mit Verwunderung und Empörung feststellen, nicht mitgemeint und um die Früchte der Revolution betrogen worden zu sein. "Mann, bist Du fähig, gerecht zu sein? Eine Frau stellt Dir diese Frage." Mit diesem Zuruf hatte Olympe de Gouges 1791 ihre Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin eingeleitet. Die französische Revolutionärin hat darin nicht nur gleiche Freiheiten und Bürgerinnenrechte, nicht etwa nur die Rechte der Männer eingeklagt, sondern sehr konkret die spezifischen Unrechtserfahrungen von Frauen und Müttern benannt und ein für alle Menschen mögliches Maß von Freiheit und Gleichheit gefordert. Sie kennzeichnete damit eine auch für ihre Geschlechtsgenossinnen typische, verallgemeinerbare Erfahrung als Unrecht und zwar in der Form des Rechts. Allein mit der öffentlichen "Inszenierung des Widerspruchs", einer "Deklaration" in der Sprache der Menschenrechte, war die von de Gouges geforderte Gleichheit noch nicht realisiert. Aber es war ein neuer "Erfahrungsraum" eröffnet und ein grundlegender Dissens angeklungen, in den später andere einstimmen sollten. Seit dem 19. Jahrhundert ist von vielen politischen Interventionen, sozialen Protesten und persönlichen Befreiungskämpfen zu berichten, in denen es um Emanzipation und die Rechte von Frauen ging. In diesem Sinne hat Anita Augspurg vor mehr als 100 Jahren argumentiert, als ihr wie anderen Akteur_innen der Frauenbewegung in Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts klar wurde, dass sie sich einmischen müssten in die Arbeit an der Kodifikation des neuen Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), einem Jahrhundertwerk, das die Bevormundung und Zurücksetzung von Frauen im Privaten noch im 20. Jahrhundert fortsetzen sollte. Augspurg versuchte als erste deutsche promovierte Juristin ihre Geschlechtsgenossinnen davon zu überzeugen, dass die "Frauenfrage in allererster Linie [eine] Rechtsfrage" sei, denn "was immer eine einzelne Frau erreicht und erringt in Kunst, Wissenschaft, in Industrie, an allgemeinem Ansehen und Einfluss: es ist etwas Privates, Persönliches, Momentanes, Isoliertes - es haftet ihm immer der Charakter des Ausnahmsweisen und als solchem Geduldeten an, aber es ist nicht berechtigt und kann daher nicht zur Regel werden und Einfluss nehmen auf die Allgemeinheit." Nach vielen Rückschlägen und Flauten bedurfte es neuer Mobilisierungen und besonderer politischer Konstellationen, um über nationale Grenzen hinweg in den langen Wellen der Frauenbewegung da anzukommen, wo wir heute sind. Ja, formal sind Frauen in den demokratisch verfassten Gesellschaften heute gleichgestellt, als Staatsbürgerinnen mit Wahl- und Partizipationsrechten ausgestattet, auch im Privaten in der Familie, nicht nur in heterosexuellen Beziehungen gleichberechtigt. Doch jenseits dessen, erst recht weltweit, lebt die Mehrheit der Frauen überwiegend in prekären Verhältnissen, in ökonomischer Abhängigkeit und bedroht von Gewalt. Dabei sind die Errungenschaften in vielen Ländern der westlichen Welt keineswegs gering zu achten, im Gegenteil, es ist nicht genug hervorzuheben, welche nachhaltige Veränderung im Bewusstsein der Menschen, welche "kulturelle Revolution" in den Beziehungen der Geschlechter und welch nachgerade dramatischer sozialer Wandel in den privaten Lebensformen etwa seit den 1970er Jahren von den neuen sozialen Bewegungen, den Bürgerrechts- und Frauenbewegungen angestoßen und getragen wurde. Der Erfolg scheint so überwältigend zu sein, dass viele den Feminismus, besonders den Kampf um Rechte, um Freiheit und Gleichheit für unzeitgemäß und überflüssig halten. Dem möchte ich mit Nachdruck widersprechen, denn auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 bedurfte und bedarf weiterhin der Umsetzung und zusätzlicher völkerrechtlicher Verträge. Ein Meilenstein in der Geschichte der Frauenrechte weltweit ist deshalb das Übereinkommen über die Beseitigung jeder Diskriminierung der Frau, das 1979 von der UN-Generalversammlung verabschiedet wurde. Es nimmt die Einzelstaaten in die Pflicht, weitreichende Maßnahmen zur Entdiskriminierung zu ergreifen und konkretisiert im Einzelnen, was "die Beseitigung der Apartheit, jeder Form von Rassismus, Rassendiskriminierung, Kolonialismus, Neokolonialisms, ausländischer Besetzung und Fremdherrschaft [] für die volle Ausübung der Rechte von Mann und Frau" heute bedeutet. Im Verlauf gesellschaftlicher Entwicklungen, politischer Umbrüche und globaler Transformationsprozesse der vergangenen 200 Jahre wurde die Frage nach Recht und Gerechtigkeit immer wieder neu gestellt, müssen die gesellschaftlich erreichbaren Standards für Gerechtigkeit jeweils neu vermessen werden. Denn zwischen Recht und Gerechtigkeit liegt viel zu oft eine unüberwindliche Kluft. Deshalb führt die Frage nach Gerechtigkeit immer über das bestehende Recht hinaus. Doch wenn schon Kant in seiner "Einleitung in die Rechtslehre" schreibt: "Die Frage Was rechtens ist? möchte wohl den Rechtsgelehrten [] in Verlegenheit setzen", so sind wir vorgewarnt. Der vielschichtige Begriff von Recht (im Englischen rights und law) ist daher in mindestens drei Dimensionen zu erläutern: Recht ist nicht nur das, "was die Gesetze an einem gewissen Ort und zu einer gewissen Zeit sagen oder gesagt haben", also das positive, geltende Recht, das seinem Inhalt oder seiner Auswirkung nach höchst ungerecht sein kann. Auch nicht - so Kant in anderen Worten - ihre praktische Rechtsanwendung, die bloße Empirie, die die Rechtssoziologen Rechtstatsachen nennen. Vielmehr enthält die Bezugnahme auf Recht zumindest seit der Aufklärung und der Verkündung der allgemeinen Menschenrechte immer auch die Vorstellung von einem anderen, gerechteren oder richtigen Recht, von Gerechtigkeit und davon, wie die Beziehungen zwischen Personen unter der Voraussetzung ihrer Freiheit und Gleichheit und Solidarität aussehen sollten. Dieses utopische Verlangen nach Gerechtigkeit ist ein Grundbedürfnis menschlicher Existenz. Was ungerecht ist, weiß jede von ihrem Standpunkt aus intuitiv zu sagen, doch wie dieses Empfinden oder diese Erkenntnis in richtiges Recht zu übersetzen und umzusetzen ist, bleibt strittig. Die Schwierigkeit im theoretischen wie praktischen Umgang mit Recht liegt somit in seiner Doppeldeutigkeit. Jurist_innen und Philosoph_innen sprechen vom Janusgesicht, dem Doppelcharakter oder der Dialektik von Recht, da Rechtsnormen, je nachdem, aus welchem Interesse oder Blickpunkt betrachtet, "zugleich Zwangsgesetze und Gesetze der Freiheit" sind. Recht hat folglich in der bürgerlichen Gesellschaft immer zwei Seiten, es hat sowohl der Legitimation bestehender Verhältnisse als auch zu ihrer Kritik und gesellschaftlichen Veränderung gedient und kann ebenso Befreiungs- wie Herrschaftsinstrument sein. Entscheidend ist, dass gewährleistete Rechte auch in Anspruch genommen werden. Da es immer um den Ausgleich von Interessen, um Kooperation oder Konkurrenz und um die Gestaltung des Zusammenlebens von Beziehungen geht, sind auch subjektive, individuelle Rechte nur eingedenk der Rechte Dritter zu bestimmen. Dies bedeutet, dass die Ermöglichung und Verwirklichung der demokratischen Prinzipien der Freiheit und Gleichheit aller Menschen die Anerkennung und Pr...

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